Ermittlung behinderungsbedingter Aufwendungen beim Kindergeld

Einkommensteuer

Kann ein Kind aufgrund der Behinderung seinen notwendigen Lebensbedarf nicht selbst decken, besteht auch über das 25. Lebensjahr hinaus ein Anspruch auf Kindergeld. Doch wie erfolgt die Ermittlung, ob das Kind in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten?

Die Klägerin Tina ist Mutter der im Streitzeitraum 2018 59-jährigen Tochter Clara. Clara lebte im Jahr 2018 in einer eigenen Wohnung. Es war für Sie ein Grad der Behinderung von 80 festgestellt worden. Tina erhielt Kindergeld für Clara. Seit Juli 2018 bezog Clara eine Erwerbsminderungsrente in Höhe von 1.065,61 € brutto pro Monat. Die Familienkasse hob den Kindergeldbescheid auf mit der Begründung, dass Clara in der Lage sei, sich selbst zu unterhalten. Diese Definition, die sich ebenfalls auf den Kinderfreibetrag übertragen lässt und im § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG zu finden ist, führt immer wieder zu Schwierigkeiten. Denn ab wann genau, ist ein Kind in der Lage, sich selbst zu unterhalten?

Tina reichte Einspruch ein und fügte unter anderem eine Fahrtkostenaufstellung bei. Die Familienkasse wies den Einspruch als unbegründet zurück. Das Finanzgericht gab der Klage statt und stellte die Aufwendungen den Einnahmen gegenüber, woraus sich eine monatliche Unterdeckung ergab, allerdings nur geringfügig. Es wurden pauschale monatliche Fahrtkosten von 75 € angesetzt.

 

Der BFH kam jetzt zu einem anderen Ergebnis. Unstreitig war, dass grundsätzlich ein Anspruch auf Kindergeld besteht, da bei Clara eine Behinderung vorliegt und diese vor dem 25. Lebensjahr eingetreten ist. Die Fähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt ist anhand eines Vergleichs zweier Bezugsgrößen zu prüfen, nämlich des aus dem Grundbedarf und dem behinderungsbedingten Mehrbedarf bestehenden gesamten existenziellen Lebensbedarfs des Kindes einerseits und seiner finanziellen Mittel andererseits. Diese Prüfung hat für jeden Monat gesondert zu erfolgen. Der behinderungsbedingte Mehrbedarf umfasst Aufwendungen, die gesunde Kinder nicht haben. Dazu gehören alle mit einer Behinderung zusammenhängenden außergewöhnlichen Belastungen, insbesondere solche für Hilfen bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, ebenso zum Beispiel auch Wäsche, Erholung und typische Erschwernisaufwendungen.

 

Diese können einzeln nachgewiesen oder mit dem maßgeblichen Pauschbetrag angesetzt werden. Werden die 

behinderungsbedingten Mehraufwendungen nicht im Einzelnen nachgewiesen, sondern der maßgebliche Behinderten-Pauschbetrag angesetzt, können daneben nicht zusätzlich Aufwendungen angesetzt werden, die entweder bereits durch den Pauschbetrag für den Grundbedarf oder den Behinderten-Pauschbetrag abgegolten werden. Unter bestimmten Voraussetzungen können behinderungsbedingte Fahrtaufwendungen neben dem Behinderten-Pauschbetrag geltend gemacht werden, soweit sie nachgewiesen oder glaubhaft gemacht worden und angemessen sind.

 

Im Urteilsfall hatte der BFH einen zusätzlichen Ansatz pauschaler Fahrtkosten (3.000 km pro Jahr) nicht zugelassen, was dazu führte, dass Clara laut Aufstellung in der Lage war, sich selbst zu unterhalten und Tina für sie somit korrekterweise kein Kindergeld mehr erhielt. Die Sache wurde aber an das Finanzgericht zurückverwiesen, um zu klären, welche der tatsächlich nachgewiesenen Fahrtkosten auch wirklich behinderungsbedingt gewesen sind.  

 

Praxishinweis:

Ab dem Veranlagungszeitraum 2021 gilt der § 33 Abs. 2a EStG. Bei einem Grad der Behinderung von mindestens 80 oder einem Grad der Behinderung von mindestens 70 und dem Merkzeichen „G“ oder den Merkzeichen „aG“, „BI“, „TBI“ oder „H“, kann eine behinderungsbedingte Fahrtkostenpauschale in Höhe von 900 € bzw. 4.500 € pro Jahr angesetzt werden. Abweichend ist auch der Ansatz tatsächlich nachgewiesener behinderungsbedingter Fahrtkosten möglich.

 

Fazit:

Ist ein behindertes Kind in der Lage, sich selbst zu unterhalten, besteht kein Anspruch auf Kindergeld. Bei der Ermittlung werden Aufwendungen und finanzielle Mittel des Kindes gegen-übergestellt. Ein Ansatz pauschaler Fahrtkosten erfolgt nur unter bestimmten Voraussetzungen und erst ab dem Veranlagungszeitraum 2021.

Fundstelle

BFH-Urteil vom 10.07.2024, III R 2/23

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