Änderung eines Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO bei irrtümlich doppelter Erklärung von Einnahmen als Arbeitslohn und als Betriebseinnahmen

Abgabenordnung

Werden Einnahmen eines angestellten Chefarztes aus der Erbringung wahlärztlicher Leistungen irrtümlich innerhalb zweier Einkunftsarten erklärt, liegt kein "grobes Verschulden" i. S. d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO vor.

Dr. Bob war als Chefarzt in einem Krankenhaus angestellt. Für seine Tätigkeit erhielt er eine feste monatliche Vergütung. Außerdem wurde ihm in seinem Dienstvertrag das Liquidationsrecht für von ihm erbrachte wahlärztliche Leistungen eingeräumt.

Wahlleistungen sind über die allgemeinen Krankenhausleistungen hinausgehende Sonderleistungen. Diese sind gesondert zu vereinbaren und vom Patienten zu bezahlen. Diese Leistungen erbrachte Dr. Bob sowohl in Form von Behandlungen gegenüber stationär untergebrachten Patienten als auch in Form ambulanter Sprechstunden. Die Rechnungsbeträge aus sämtlichen Privatliquidationen wurden seinem privaten Bankkonto gutgeschrieben.

Die Einnahmen aus den stationär erbrachten Wahlleistungen behandelte das Krankenhaus als Bezüge aus dem Dienstverhältnis und unterwarf diese dem Lohnsteuerabzug.

Die Einnahmen aus der ambulanten wahlärztlichen Tätigkeit blieben unberücksichtigt, weil das Krankenhaus insoweit von Leistungen ausging, die außerhalb des Dienstverhältnisses erbracht wurden.

Ob und welche Einnahmen aus den wahlärztlichen Leistungen dem Lohnsteuerabzug unterlegen hatten, war weder für Dr. Bob noch für seinen Steuerberater ersichtlich.

Die Vergütungen aus sämtlichen wahlärztlichen Leistungen wurden deshalb in seiner Einnahmen-Überschuss-Rechnung als Einnahmen im Rahmen der Einkünfte aus selbständiger Arbeit erklärt.

Als später auffiel, dass eine Doppelversteuerung der Einnahmen aus den stationär erbrachten Wahlleistungen stattgefunden hatte, beantragte Dr. Bob eine Änderung der Bescheide gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO.

Hiernach sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass diese erst nachträglich bekannt werden.

Wurde die Tatsache erst nachträglich bekannt?

Ja! Das Finanzamt hat erst nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Einkommensteuerbescheide Kenntnis davon erlangt, dass Einnahmen teilweise doppelt erfasst wurden.

Führt die Tatsache zu einer niedrigeren Steuer?

Ja! Die Einnahmen aus der Erbringung von Wahlleistungen gegenüber stationär untergebrachten Patienten wurden fälschlicherweise doppelt erfasst und müssen zumindest in einer Einkunftsart unberücksichtigt bleiben.

Trifft Dr. Bob oder seinen Steuerberater ein grobes Verschulden?

Nein! Grobes Verschulden ist gegeben, wenn Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorliegen. Das war hier nicht der Fall.

Die fehlerhafte Steuererklärung beruht auf einem Rechtsirrtum, denn ob wahlärztliche Leistungen innerhalb oder außerhalb eines Dienstverhältnisses erbracht werden, kann nur aufgrund einer Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls beantwortet werden.

Auch den Steuerberater trifft kein grobes Verschulden. Grund für den Doppelansatz war nicht die unzureichende "Prüfung der steuerlichen Rechtslage", sondern die fehlende Erkennbarkeit der Zusammensetzung des Bruttoarbeitslohns. Der steuerliche Berater hatte keinen Anlass, die Richtigkeit der Lohnsteuerbescheinigung anzuzweifeln.

Die Änderung eines Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist zulässig.

Fundstelle

BFH-Urteil vom 18. April 2023, VIII R 9/20

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